FAQs zu Waffenlieferungen an die Ukraine

Sachstand
Mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine geht auch eine Zäsur der deutschen Außenpolitik einher. Auch für uns Grüne. Am 27.02. hat der Bundestag fraktionsübergreifend beschlossen, die Ukraine auch mit militärischen Mitteln zur Verteidigung zu unterstützen. Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat diesem Antrag geschlossen zugestimmt. Am 28.04. hat der Bundestag auch mit den Stimmen der grünen Bundestagsfraktion die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine unterstützt. Deutschland hat bislang Antipanzer- und Flugabwehrwaffen, Munition, Fahrzeuge und Ausrüstung geliefert. Zudem hat Deutschland Waffen unserer Partner aus früheren Beständen der Nationalen Volksarmee (DDR) zur Überlassung an die Ukraine freigegeben.

Nach 2 Monaten Krieg in der Ukraine ändert die russische Armee nun ihre Strategie und hat die eigenen Kriegsziele angepasst. Dieser neuen Dynamik muss auch unsere Politik Rechnung tragen. Deshalb intensiviert die Bundesregierung – auch auf Initiative der grünen Kabinettsmitglieder – ihre Unterstützung für die Ukraine. Deutschland ermöglicht – in enger Abstimmung mit unseren Partnern – die Lieferung der für die veränderte russischen Kriegsführung nötigen Waffen. Darüber hinaus hat die Bundesregierung über die EU Peace Facility Gelder bereitgestellt und über den Ergänzungshaushalt weitere 2 Mrd. für militärisches Gerät zur Verfügung gestellt.

Frieden schaffen ohne Waffen- Warum geht das jetzt nicht mehr? Was ist aus der pazifistischen Grundhaltung geworden?
Bündnis 90/Die Grünen haben ihre Wurzeln auch in der Friedensbewegung. Wir fühlen uns dem Frieden in Europa verpflichtet. Der russische Angriff auf die Ukraine bricht das internationale und humanitäre Völkerrecht auf eklatante Weise und versucht, die europäische Friedensordnung dauerhaft zu zerstören. Die Ukraine hat das Recht auf Selbstverteidigung. Dieses Recht garantiert ihr die Charta der Vereinten Nationen, der wir uns verpflichtet fühlen. Daher unterstützen wir die Ukraine darin, ihr Recht durchzusetzen.
Putin greift mit seinem Krieg die fundamentalen Werte und Normen unseres Kontinents an. Die Ukraine verteidigt daher nicht nur sich selbst, sondern auch die Friedensordnung, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entwickelt wurde und es liegt in unserem fundamentalen Eigeninteresse, diese Ordnung zu erhalten.

Warum sollten wir schwere Waffen an die Ukraine liefern?
Neben den präzendenzlosen umfassenden ökonomischen Sanktionen und der partiellen Abkoppelung Russlands von den internationalen Märkten ist das wichtigste und wirksamste Mittel, um den russischen Vormarsch zu stoppen, die Intensivierung und Beschleunigung der Lieferung wirksamer, auch schwerer, Waffen. Alle Waffenlieferungen und Unterstützungsmaßnahmen für die Ukraine verfolgen das Ziel, den Angriffskrieg schnellstmöglich zu beenden, einen Waffenstillstand und den unverzüglichen Abzug russischer Truppen zu erreichen.
Die Dynamik der neuen russischen Offensive und die damit einhergehende Änderung der russischen Taktik lassen sich mit den bisherigen Mitteln nicht widersetzen. Außerdem sind die gelieferten Güter auch Verbrauchsgüter, die ersetzt werden müssen. Daher braucht es eine kontinuierliche Lieferung schwerer Waffen.

Warum liefern wir jetzt Waffen in ein Kriegsgebiet, vorher nicht?
Ziel unserer Politik ist die Beilegung von Konflikten durch die Mittel der Diplomatie. Unser Ziel und Ideal war und bleibt, keine Waffen in Kriegsgebiete zu liefern. Doch die Mittel der Diplomatie sind begrenzt. Annalena und auch Bundeskanzler Scholz waren zu Gesprächen in Moskau, um diesen Krieg abzuwenden. Putin will diesen Krieg und er will die Unterwerfung bzw. Zerstörung der ukrainischen Kulturnation. Gegen einen solchen Aggressor sind diplomatische Bemühungen am Ende machtlos.

Wie groß ist die Gefahr eines Atomkrieges (da der Kanzler davor warnt)?
Die Gefahr eines Atomkriegs ist leider real und mit dem Überfall auf die Ukraine gestiegen. Denn jeder Konflikt einer Atommacht erhöht das Risiko der Nutzung von taktischen oder strategischen Atomwaffen. Putin lässt an seiner brutalen Entschlossenheit zur Unterwerfung der Ukraine und seiner Abneigung für das Völkerrecht keinen Zweifel.
Dennoch besteht aktuell kein Grund zu Panik. Russland verfolgt traditionell eine Nukleardoktrin, die zwar rhetorische Drohkulissen aufbaut, aber dennoch eher eine Schutzfunktion gegen nukleare Angriffe verfolgt. Von dieser Doktrin ist Putin mit seinen Drohungen gegen den Westen teilweise abgerückt. Putins Drohgebärden sind dennoch eher als taktische Einschüchterungsversuche zu werten, die Ängste in der Bevölkerung auslösen und die politische und militärische Unterstützung der Ukraine schmälern sollen.
Die Folgen eines beabsichtigten Einsatzes von Atomwaffen wären für Russland enorm und es gibt keine rationalen Anreize für ihre Nutzung in der Ukraine. Ein unbeabsichtigter Einsatz ist unwahrscheinlich, da militärische Kanäle existieren, die Missverständnisse vorbeugen und ein willkürlicher Einsatz durch die russische Kommandostruktur wenig wahrscheinlich ist. Es gibt nicht den einen roten Knopf im Kreml, der einen Atomkrieg auslösen würde, sondern eine „Drei-Koffer-Prinzip“, das die Verantwortung für den Einsatz auf den Präsidenten, den Verteidigungsminister und den Generalstabschef verteilt.

Wie stehen wir zur Debatte um Nord Stream 2 und die so genannte „Klimastiftung“ und frühere russlandpolitische Ausrichtungen der deutschen Politik?
Wir Grüne sind und waren hörbare Kritiker der Gaspipeline Nord Stream 2 und der energiepolitischen Abhängigkeiten mit Russland. Dieses Projekt war ein klima-, europa- und energiepolitischer Fehler, den auch die SPD zu verantworten hat. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, die einseitige Abhängigkeit, die die Vorgängerregierungen zu verantworten haben, aufzulösen. Als Bundeswirtschaftsminister und Vize-Kanzler versetzt Robert Habeck Deutschland in die Lage, sich von den russischen fossilen Energieimporten loszusagen.

Dass russische Energiekonzerne sehr großen Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen konnten, bspw. im Falle der russisch finanzierten Tarnstiftung für Klimaschutz in Mecklenburg-Vorpommer, besorgt uns sehr und bedarf der politischen Aufarbeitung im Land. Es gibt bereits eine breite Aufarbeitung der verfehlten Russlandpolitik, die wir sehr begrüßen.

Die Ukraine sollte aufgeben, um weiteres Leid zu verhindern
Die Ukraine kämpft seit 2014 für ihre Souveränität und Unabhängigkeit. Die Bilder der Gräueltaten und Kriegsverbrechen zeigen, was den Ukrainerinnen und Ukrainer unter russischer Herrschaft droht. Putin führt einen Vernichtungskrieg gegen die ukrainische Kulturnation. Er verneint die Eigenständigkeit der Ukraine und würde seine diktatorische Herrschaft und sein Besatzungsregime mit Mitteln des Terrors und der Gewalt durchsetzen. Aufgeben würde daher kein Leid verhindern, sondern die Situation für alle Menschen verschlechtern. Außerdem würde Russland seinen Überfall dadurch als legitimes Mittel der Politik bestätigt sehen und weitere imperiale und revisionistische Auseinandersetzungen würden drohen.

Die NATO-Osterweiterung ist verantwortlich
Dieser Mythos diente Putin als eine Legitimation für seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine. NATO-Osterweiterung ist ein Begriff, der in die Irre führt. Die NATO hat sich nicht im Sinne militärischer Raumgewinne expandiert, vielmehr haben sich die neuen Mitglieder freiwillig integriert, weil sie Schutz im Verteidigungsbündnis suchten. Sie sind aus freien Stücken und eigenem Willen Mitglieder geworden – so wie es Finnland und Schweden aufgrund der russischen Aggression aktuell in Erwägung ziehen. Wir sollten daher von der NATO-Integration sprechen.
Nicht die NATO ist Verursacher dieses Angriffskriegs, sondern der Kreml unter Putin, der die Ukraine ohne jegliche vorherige Provokation militärisch angegriffen hat. Mit der Unterzeichnung der NATO-Russland-Grundakte von 1997 hat Russland der ersten NATO-Integration unter Bedingungen zugestimmt. Im Rahmen dieses Dokuments wurden auch russischen Sicherheitsbedenken Rechnung getragen. Eine Folge dessen war zum Beispiel die Gründung des NATO-Russland-Rates. Gebrochen wurde die Grundakte dann aber von Russland u. a. mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim. Eine Aufnahme der Ukraine in die NATO stand nicht auf der Tagesordnung. Im Gegenteil haben die militärischen Drohungen durch Präsident Putin gegen die Ukraine erst wieder Fahrt in diese Debatte gebracht.
Die Ukraine hat sämtliche Atomwaffen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion an Russland abgegeben und mit dem Budapester Memorandum auf eine friedliche Nachbarschaft gesetzt. Bereits 2014 hat Russland das Versprechen, die territoriale Souveränität der Ukraine zu respektieren, gebrochen. Das bedeutet auch, dass der Überfall ein massiver Rückschlag für alle ist, die sich für nukleare Abrüstung einsetzen.

Das Bild in den westlichen Medien ist verzerrt
Die Berichterstattung über den Angriffskrieg ist wichtig, denn sie offenbart die Grausamkeit und Sinnlosigkeit des russischen Überfalls. Von einem verzerrten Bild kann man angesichts der vielfältigen unterschiedlichen Korrespondenten und Medien aus der Ukraine nicht sprechen. Wir alle sind in der Lage, uns umfangreich zu informieren. Trotzdem herrschte lange Zeit ein
verfälschtes Bild über die Ukraine und ihre Anstrengungen für Demokratie, Frieden, Freiheit, Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit.
Trotzdem gehört es zu den Tatsachen, dass nicht alle Aspekte des Krieges gleichermaßen beleuchtet werden. Dass auch häufig innerdeutsche Debatten die Berichterstattung bestimmen. Dass in Zeiten des Krieges auch gefälschte Narrative und Desinformationen zunehmen. Aber genau hier überwindet die Vielfalt der ukrainischen und westlichen Medienlandschaft die Verbreitung einseitiger Erzählungen.
In Russland gibt es heute keinerlei freie Medien mehr. Die Menschen in Russland sind der Zensur und Propaganda ausgesetzt. Tausende Journalisten sie vor staatlicher Verfolgung geflohen. Diese Menschen unterstützen wir, denn wir wollen auch den Russinnen und Russen die Chance geben, sich umfangreich über den Krieg und seiner Folgen für die Ukraine, aber auch für Russland zu informieren.